Am 23. September 1962 musste ein amerikanisches Flugzeug notwassern.
Auf Wikipedia wird der Vorfall wie folgt beschrieben:
Das Flugzeug Tiger Line Flug 923 stürzte in den Atlantischen Ozean, nachdem drei der vier Triebwerke ausgefallen waren. Die L-1049H Super Constellation war auf dem Weg von den Vereinigten Staaten nach Westdeutschland, als sie mit 76 Menschen an Bord, von denen 28 starben, auf dem Meer notlandete. Die anderen 48 wurden vom Schweizer Schiff Celerina gerettet. Die Untersuchung des Absturzes ergab, dass der Unfall durch den Ausfall von Triebwerk Nr. 3, das versehentliche Schliessen eines Absperrventils an Triebwerk Nr. 1 durch den Flugingenieur und den Ausfall von Triebwerk Nr. 2 verursacht wurde, als das Flugzeug auf dem Weg zum nächstgelegenen Flughafen war.
An Bord des Frachters „Celerina“ befand sich der 29-jährige Mumpfer Zimmermann Walter Wunderlin als Besatzungsmitglied. Die Rettungsaktion, an der Walter Wunderlin massgebend beteiligt war, fand ein anhaltendes weltweites Echo.
Die Seefahrt an jenem 23. September war begleitet von stürmischen Wetterverhältnissen schon seit Beginn der Abfahrt von Port Churchill, in der Hudson Bay im Norden Kanadas. Das voll mit 12’000 T Getreide beladene Schiff mit Kurs auf Antwerpen in Belgien kämpfte mit heftigen Windböen und 10 Meter hohen Wellen, welche bis aufs Deck gelangten.
Absturzort der Super Constellation im Atlantischen Ozean.
Absturzort der Super Constellation im Atlantischen Ozean.
Wie der Mumpfer die herausfordernde Rettung erlebte, beschrieb er in einem Brief an seine Eltern.
Brief von Walter Wunderlin an seine Eltern
Sonntagabend 18.30 Uhr
Ein gewöhnlicher Abend, die einen geniessen ihren freien Tag, andere gehen ihrer gewohnten Arbeit nach. Plötzlich fängt der Bordfunker SOS auf. „SOS … Flugzeug … plötzliches Aussetzen von 2 Motoren … wovon der eine Feuer gefangen hat … nimmt 120 Seemeilen von der Celerina entfernt eine Notwässerung vor … an Bord 72 Personen.“
Wir drehen sofort ab, Kurs nach der Unglückstelle. Die Maschinisten holten das Letzte heraus, keine Minute darf ver¬loren gehen. Auf der Celerina werden sofort die nötigsten Mass¬nahmen getroffen. Ein Leifboot wird klar gemacht. Hospital und Kabinen werden eingerichtet, statt unser Nachtessen bereitet die Küchenmannschaft Mengen von Tee und Kaffee vor. Rettungsringe, Seilwerk, Netze und Schwimmgurte werden verteilt. Ein heftiger Wind setzt ein und wirft haushohe Wellen auf. Niemand hier auf diesem Schiff glaubt an eine Rettung der 72 Schiffbrüchigen.
23.00 Uhr: Jetzt werden die ersten Flieger und Helikopter sichtbar. Zwar ist ein Einsatz bei so hoher See unmöglich. Näher und näher kommen wir zur Unfallstelle. Mit den Scheinwerfern suchen wir fiebernd nach Schiffbrüchigen. Aus den Flugzeugen wird alle 10 Minuten eine Leuchtrakete abgeworfen.
01.30 Uhr: Die Zeit schleicht, ein heftiger Sturm fegt über das Meer. Stockfinstere Nacht, wir wissen, dass noch Menschen auf Rettung warten, eine harte Nervenprobe für uns alle. Am Horizont werden nun vermehrt Leuchtraketen abgeschossen. Von einem Flugzeug wird gefunkt, dass der Pilot ein Rettungsboot vom abgestürzten Flugzeug sehen konnte. Wir sind immer noch 15 -20 Seemeilen von der Unglücksstelle entfernt. Wir erleben lange Minuten und Stunden, alle hoffen auf Rettung der Überlebenden.
02.30 Uhr: Das erste mal können wir von der Kommandobrücke ein Licht im Wasser sehen. Wir sind gespannt, doch bald darauf liegt Entäuschung auf allen Gesichtern, das Licht entpuppt sich als eine Leuchtboje, von einem Flugzeug abgeworfen. Endlich haben wir im Scheinwerferlicht einen schwarzen Umriss entdeckt, der von Zeit zu Zeit wieder ganz in den Wellentälern verschwindet.
Montagmorgen 03.00 Uhr: Jetzt erkennen wir deutlich ein gelbes Gummiboot, das wir im Scheinwerferlicht zu halten versuchen. Nun sind wir ganz nahe, mit letzter Verzweiflung winken uns Leute zu. Noch einmal verlieren wir das Boot aus den Augen, da wir abdrehen müssen, um den Wind abzuschneiden und so in die Nähe des Bootes zu gelangen.
Endlich ist es so weit. Die ersten Leinen fliegen, auch Rettungsringe, aber noch keiner hat sein Ziel erreicht. Eine grosse Welle schmeisst das Boot bei, so dass die ersten Leinen festgemacht werden können. Die Rettungsaktion beginnt. Ein schauriger Anblick, dieses Boot, den ich und wohl keiner der es gesehen hat, vergessen wird.
52 Personen sind zusammen gepfercht, Tote, Verletzte, Verzweifelte. Diejenigen, die noch Kraft dazu besitzen, will jeder zuerst die Strickleiter erfassen. Eine Panik bricht aus. Der 1. Offizier ruft vergebens: „Eine Person um die andere!“ Sie konnten es nicht verstehen, das Stöhnen der Verwundeten, die Hilferufe der Verzweifelten, das Peitschen der See übertönte jede menschliche Stimme. Zwei, drei Personen halten sich mit letzter Kraft an der Strickleiter fest, aus eigener Kraft konnte sie keiner erklimmen. Wir ziehen einige Gerettete an der Leiter hoch über die Brüstung. Die Wellen schlagen fünf bis acht Meter mit dem Boot hoch. Erst zehn Personen konnten wir hochziehen.
Nun kann ich dem Spiel nicht mehr länger zusehen. Ich frage den 1. Offizier um Erlaubnis, selbst in das Boot hinunter zu steigen, was mir erlaubt wurde. Mit Schwimmweste steige ich die Strickleiter hinunter. Soeben kommt das Boot wieder hoch, ich bekomme eine Frau am Arm zu fassen, die ich nicht mehr loslasse. Mit einer Hand die Frau am Arm, mit der andern Hand hielt ich mich an der Leiter fest, so wurde ich über die Brüstung gezogen. Wieder steige ich in das Boot, bekomme einen harten Schlag vom Boot, ich fliege direkt zwischen die Unglücklichen. Nun fange ich an zu wirken. Zuerst binde ich die Frauen fest und lasse eine Person um die andere aufziehen. Der ganzen Länge nach schmeisst es mich manchmal in das etwa 60 cm hohe vom Blut gefärbte Wasser im Boot. Über 35 Personen habe ich festgebunden und hochziehen lassen. Zuletzt band auch ich mich fest und liess mich hochziehen, ich war erschöpft, aus eigener Kraft konnte ich nicht mehr die Leiter empor klettern.
Was nun auf dem Schiff zu sehen war, Verwundete lagen umher, mit Brandwunden, Quetschungen und Schürfungen. Der Anblick war schrecklich. Eben vor meiner Kabine hauchte ein junger Mann sein Leben aus. Vergebens machten wir Wiederbelebungsversuche. Drei Tote, wovon eine Frau, trugen wir weg. Vom Morgen bis am Nachmittag verbanden und pflegten wir die Unglücklichen. 52 Menschen haben wir gerettet.
Die Flagge auf Halbmast, erwarteten wir um 4 Uhr nachmittags einen amerikanischen Flugzeugträger, der pünktlich eintraf. Mit Helikoptern wurden die Toten und Schwerverletzten auf den Flugzeugträger befördert. Bei dem hohen Seegang war das ein schwieriges Manöver. Nun nahmen wir Kurs Richtung England. Eine schlaflose Nacht folgt.
26. September: Der Zustand von einigen Verletzten verschlimmert sich, wir verlangten von Irland Hilfe. Am andern Morgen wurden mit drei Helikoptern weitere 20 Personen abtransportiert. Auch brachten uns am Nachmittag Helikopter Verpflegung, da wir sehr knapp waren. Nur noch zwei Tage und wir sind in Antwerpen.
27. September: Hier auf der Celerina herrscht wieder das gewohnte Seemannsleben. Jeder geht seiner Arbeit nach, Leichtverwundete wagen sich auch auf das Deck, schauen aber noch ganz ängstlich ins Wasser. Eine Frau hat beim Unglück ihren Mann verloren. Die Arme war dem Wahnsinn nahe. In allen Kabinen ging sie immer wieder fragen, ob ihr Mann nicht da sei. Wir hatten sie immer unter Beobachtung. Den ganzen Tag wurden wir von Flugzeugen und kleineren Schiffen umkreist.
28. September: Am Morgen um sechs Uhr Ankunft in Antwerpen, aber noch vor Anker. Um 11 Uhr Einfahrt durch zwei Schleusen in Anvers Hafen. Über sechs Stunden hatten wir, bis wir im Hafen festmachen konnten. Ganz Belgien und Reporter aus aller Welt, eine Delegation von Fallschirmspringern, bereiteten uns einen stürmischen Empfang. Beim Verlassen des Schiffes, der Verwundeten, drückten Gerettete und Retter einander nochmals fest die Hand, ein unvergesslicher Moment.
Am Abend um 20.00 Uhr waren wir im vornehmsten Hotel von Anvers eingeladen. Wir wurden stürmisch und mit strahlenden Gesichtern im Antwerps Docks Hotel empfangen. Ein Danken und Händeschütteln beginnt, das kein Ende mehr nehmen will. Ein hoher amerikanischer General dankte mir persönlich im Namen der Armee für meinen mutigen Einsatz. Bis am Morgen feierten wir Abschied von unseren Freunden, der reichlich mit Wisky usw. begossen wurde.
Inmitten der Fröhlichkeit verrichteten Gerette und Retter, jeder nach seiner Sprache ein Dankgebet an Gott, dabei hielten wir uns alle fest an der Hand. Ein eindrücklicher und unvergesslicher Augenblick. Morgens um 08.00 Uhr fuhren unsere amerikanischen Freunde per Flugzeug nach Frankfurt.
29. September: Normaler Arbeitstag auf dem Schiff. Löschen der Ladung Weizen aus Kanada. Heute musste ich 5 mal zum Kapitän. Inspektor und Kapitän der Suisse-Atlantic gratulierten mir und sprachen mir Dank aus für meine Leistung. Auch der schweizerische Genralkonsul war an Bord und dankte mir aufrichtig für das Geleistete. Von der Schweiz erhalte ich die Lebensrettermedaille und eine goldene Uhr. Von der amerikanischen Armee erhalte ich ebenfalls eine Auszeichnung.
Ich für mich selbst, ich weiss nicht, als ich die vielen Unglücklichen sah, vergass ich mich und wollte einfach helfen. Erst nachher kam es mir zum Bewusstsein, dass auch ich das Leben hätte verlieren können. Heute erhielt ich neue Kleider und eine goldene Uhr, da ich bei der Rettung meine alte verloren habe. Auch wurden uns rassige Uniformen angemessen. Nun glaube ich, Ihr habt nun etwa eine Ahnung über den Hergang des Unglückes und der Rettung.
Mir geht es soweit gut bis auf zwei Zähne, die mir von einer Rettungsgurte abgeschlagen wurden.
Unsere nächste Reise geht nach Houston in Texas, Südafrika, Indien, Japan und zurück nach Europa. Dauer der Fahrt zirka 4 Monate. So viel mir bekannt ist, bekommt jeder von der Besatzung der Celerina 300 Dollar, das sind Fr. 1’200.—
Ich wünsche Euch Eltern und Geschwister alles Gute und Gesundheit.
Die herzlichsten Grüsse sendet Euch Seemann Walter
Quellen:
- Wikipedia unter Flying-Tiger-Line-Flug 923
- Schweizer Familie 38/2012
- http://www.test.swiss-ships.ch/schiffe/celerina_060/rettung/celerina-rettung-d.pdf
Autor: Gerhard Trottmann